Europa wird ein Stück barrierefreier
Am Freitag tritt das Präsidium der Europäischen Blindenunion (EBU) in Berlin zusammen. Die Interessenvertretung der blinden und sehbehinderten Menschen in Europa kann sich über einen großen Erfolg freuen: Die Europäische Union hat eine Richtlinie zur Barrierefreiheit von Webseiten öffentlicher Stellen beschlossen und dank der EBU konnten wesentliche Verbesserungen erreicht werden. Jessica Schröder, DBSV-Referentin für internationale Zusammenarbeit, berichtet:
Die Europäische Union hat sich mit dem Beschluss einer europäischen Richtlinie zur Barrierefreiheit von Webseiten öffentlicher Stellen eindeutig zur Inklusion behinderter Menschen bekannt. Die Richtlinie wird im Juni vom Ministerrat der Europäischen Union genehmigt und im Herbst vom Europäischen Parlament verabschiedet werden. Sie sieht vor, dass alle öffentlichen Institutionen wie Gerichte, die öffentliche Verwaltung, Finanzämter, öffentliche Bibliotheken, Universitäten und Institutionen des Gesundheitswesens ihre Internetseiten barrierefrei gestalten müssen.
Nach Verabschiedung und Inkrafttreten der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 22 Monate lang Zeit, nationale Gesetze zu erlassen, die die Bestimmungen der EU-Richtlinie in nationales Recht überführen. Zwei Jahre später muss die Richtlinie auf alle Inhalte neuer Webseiten Anwendung finden. Inhalte bereits bestehender Webseiten, die EU-Bürgern und -Bürgerinnen ermöglichen, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen (Beantragen eines Personalausweises, Ausfüllen der Steuererklärung etc.) müssen ebenfalls barrierefrei gestaltet sein. Ferner haben EU-Bürger und -Bürgerinnen das Recht, auf Verlangen auch ältere Dokumente in barrierefreien Formaten zu erhalten.
Der größte Verhandlungserfolg der Europäischen Blindenunion ist die Aufnahme von Handy-Apps in den Geltungsbereich der Richtlinie. Alle öffentlichen Stellen, die Apps zur Verbreitung ihrer Inhalte verwenden, müssen diese nun vollumfänglich barrierefrei gestalten, damit sie auch von blinden und sehbehinderten Menschen mit ihren Smartphones bedient werden können.
Die Verhandlungen im Rat und im Europäischen Parlament haben sich über drei Jahre hingezogen und gipfelten Anfang 2016 im sogenannten Trilogverfahren. Dabei kamen die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Ministerrat der Europäischen Union hinter verschlossenen Türen zu informellen Gesprächen zusammen, um eine für alle Seiten zufriedenstellende Fassung der Richtlinie auszuhandeln. Insbesondere der Ministerrat, der die Regierungen der EU-Staaten repräsentiert, wollte eine möglichst schwache und wenig bindende Richtlinie auf den Weg bringen, um Kosten und Verwaltungsaufwand zu vermeiden.
Trotz der Intransparenz der Trilogverhandlungen konnte die EBU die Regierungen der Länder sowie die Mitglieder des Europäischen Parlaments dazu bewegen, ein klares Signal zur umfassenden Barrierefreiheit im Web zu setzen. Die Richtlinie muss in allen öffentlichen Institutionen umgesetzt werden, egal ob kommunale Stellen, Landes- oder Bundesebene. Die nationalen Regierungen sind zudem angehalten, auch private Anbieter, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, wie beispielsweise Gas- und Stromanbieter, zur Umsetzung von Barrierefreiheit im Web aufzufordern. Ferner müssen öffentliche Institutionen eng mit Behindertenorganisationen und Barrierefreiheitsexperten und -expertinnen zusammenarbeiten, um die umfassende Barrierefreiheit ihrer Webseiten zu gewährleisten.
Die Richtlinie ist wichtig, damit blinde und sehbehinderte Menschen auf dem Weg ins digitale Zeitalter nicht abgehängt werden. Der nächste Schritt muss nun sein, auch die privaten Anbieter zur Barrierefreiheit zu verpflichten.
Quelle: Newsletter des DBSV
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